Kolonie Johanna

Kolonie Johanna: Häuser am Hindenburgpark

Die Kolonie Johanna 1912-1930

Die Kolonie Johanna galt in den Architekturzeitschriften der 20er Jahre als Musterlösung des industriellen Siedlungsbaus. Mit optimierten Preis-Leistungsbedingungen ist zu günstigen Baukosten eine humane Siedlung mit Gärten und Parkanlage geschaffen worden. Juroren des Planungskonzepts waren die Architekten Metzendorf der Essener Siedlung Mathhildenhöhe.

Schnörkel und Decor unterblieben weitgehend, Reihenverbundhäuser, Doppelhäuser und alleinstehende Häuser wurden ansprechend kombiniert. Die Wohnungs- und Gartengestaltung war sehr zweckmäßig angelegt.

Die Planung war aufwendig, da der Mutzbach kurz vor seiner Einmündung in dicke Rohre verlegt werden musste. Für den Notfall eines Hochwassers wurde der Hindenburgpark als Wasserauffangbecken angelegt.

Wegbeschreibung

Vom Elefanten fahren wir durch den rechten Torbogen durch die Havensteinstraße in die Friedlieb-Ferdinand-Runge-Straße. Links befindet sich der tiefgelegte Hindenburgpark. Wir folgen rechts der Rungestraße bis zur Paul-Ehrlich-Straße. Ecke Hindenburgstraße stehen die Aufseherhäuser mit prominenten Balkonanlagen. Wir folgen rechts der Hindenburgstraße bis zur Manforter Straße, die wir in Richtung Eigenheimsiedlung überqueren. Rechts führt unser Weg durch die Gustav-Freytag-Straße zum Kleistplatz.

Die Geschichte vom Elefanten

Der Elefant, eine Schenkung von Carl Duisberg anlässlich der Kolonie-Einweihung 1914

Die etwa 1,5 Meter hohe Brunnenskulptur des Berliner Bildhauers August Gaul aus Bronze wurde anlässlich der Einweihung der Siedlung Johanna 1914 von Carl Duisberg gestiftet. Die Skulptur war ursprünglich in Kombination mit zwei Pelikanen für einen Berliner Brunnen in Berlin-Charlottenburg vorgesehen. Die Aufstellung wurde von den „Nationalen“ verhindert, da sie keine afrikanischen Tiere in Deutschland wünschten. Duisberg erwarb daher den Elefanten günstig, das Material musste jedoch auf Grund der Kriegsvorschriften eingeschmolzen werden. Aufgestellt wurde die Figur daher erst 1921 am Eingangsportal der Siedlung. Hier stand der Elefant zunächst mit dem Kopf in Richtung der Häuser und Portale. Das Hinterteil schaute in Richtung Doktorsburg. 1933 protestierten die Nationalsozialisten: Der „Arsch“ in Richtung Hauptquartier störte das nationalistische Selbstbewusstsein, andererseits war die Figur ein Geschenk des hoch geachteten Duisberg. Was tun? Die Nationalsozialisten ließen das Tier wenden, damit der Elefant die Zentrale von Angesicht anschaute. So stand die Figur bis in die 1970er-Jahre. Später erfolgte mit der Untertunnelung der Eisenbahnlinie wieder eine Wendung. Der Po zeigt nun wieder in Richtung Doktorsburg und demonstriert Abgrenzung zu den Nationalsozialisten.

 
Video: Der Wendeelefant

Die Johanna – Siedlungsplanung unter schwierigen geografischen Verhältnissen

Bei der Johanna mussten die schwierigen Landschaftsverhältnisse in dem Planungskonzept berücksichtigt werden Daher ist der Hindenburgpark als Wasser Überlaufbecken für den Mutzbach angelegt. In der Siedlung werden Doppelhäuser und billigere Verbundbauweisen (siehe Skizze) miteinander kombiniert.

Die Kolonie III ist ein Gesamtkunstwerk der industriellen Gartenstadtbauweise. Die zwischen 1912 und 1930 fertiggestellte Siedlung mit 1.000 Wohneinheiten fällt durch eine klare und kompakte, weitgehend schnörkellose Bauweise auf. Gute Wohnqualität wurde mit einem übersichtlichen Budget geschaffen. „Ein wegweisendes Konzept für den industriellen Wohnungsbau“, war in den Architekturzeitschriften der Weimarer Republik zu lesen.

1914 war Erstbezug der Wohnungen in der Kolonie Johanna. Familie Peckhaus gehörte zu den Erstbewohnern in der Rungestraße. Über 3 Generationen wohnte die Familie in der Rungestraße.

Bauliche Besonderheiten

Die Architekten Metzendorf, die zuvor die Mathildenhöhe in Essen gestaltet hatten, begleiteten als Juroren die Siedlungsplanung. Die schwierigste Herausforderung des Architektenwettbewerbs war, das überschwemmungsgefährdete Gebiet so zu bebauen, dass Hochwassergefahren für Häuser minimiert wurden. Aus diesem Grunde wurde der Hindenburgpark als Überlaufbecken tiefer gelegt.

Der Mutzbach, der zuvor an der Doktorsburg in die Dhünn mündete, wurde hier in dicke Rohre verlegt, so dass das frühere Überschwemmungsbecken rund um die Doktorsburg entfiel. Zusätzlich wurde im Bebauungsplan für die Siedlung Johanna ein Überlaufbecken in Form des tiefgelegten Hindenburgparks für den Notfall vorgesehen. Dies erklärt die Parkabsenkung, die als Spiel- und Bolzplatz für Kinder und Jugendliche konzipiert wurde und in deren Mitte Duisberg 1920 ein Kriegerdenkmal errichten ließ, das heute auf dem Ehrenfriedhof am Opladener Rennbaumweg steht.

Als Mitte der Siedlung war ursprünglich der Platz hinter dem Hindenburgpark vorgesehen. Hier sollte ein Gesellschaftshaus mit Bibliothek sowie Restaurant und Lebensmittelgeschäften entstehen. Am Abgang in den Park gab es öffentliche Bade- und Duschgelegenheiten, denn die meisten Wohnungen hatten zu dieser Zeit noch keine regulären Badezimmer.

Erfahrungen aus der Kolonie Anna und der Krupp-Margarethenhöhe in Essen gingen in die Planung mit ein, denn die Kolonie III sollte maximalen Wohnraum mit humanen Lebensbedingungen und einem im Vergleich zur Kolonie Anna knapp kalkulierten Budget schaffen. Die Lösung dieser Quadratur des Kreises: eine Kombination von raumsparenden Reihen- und Doppelhäusern.

Die Häuser am Park

Spielende Kinder am Torbogenhaus, 1930
Häuser am Hindenburgpark

1912 wurde geplant, die Realisierung schritt schnell voran, so dass 1914 die neue Siedlung bereits eingeweiht werden konnte. Bis 1930 wurden zwischen Stadtpark und Manforter Straße zahlreiche Verdichtungen vorgenommen. Die jüngeren Gebäude, unter schwierigen Bedingungen während des Ersten Weltkriegs und der Weimarer Republik gebaut, wurden einfacher gestaltet, um Kosten zu sparen. Dennoch gelang eine hübsch gegliederte Siedlung.

Charakteristisch sind die Häuser am Anfang der Straße mit prominenten Balkonen, die zu den Aufseherwohnungen gehörten. Von diesen Balkonen hat man einen guten Überblick über das Treiben auf der Straße.

Ca. 10 bis 15 % der Bewohner sollten Aufseher sein. Das waren in der Regel Vorarbeiter bei Bayer, die dafür zu sorgen hatten, dass in der Siedlung Ruhe und Ordnung herrschte.

Aufseherwohnungen gab es am Hindenburgpark und an der Havensteinstraße im Bereich des Torbogens. Der Torbogen war für die Siedlungsarchitektur in den zwanziger Jahren typisch. Man wollte eine Siedlungsabgeschlossenheit mit klarem Eingang schaffen. Vor diesen Eingangsbögen ist ein kleiner Platz mit einem Elefantenbrunnen, der als Geschenk von Carl Duisberg gestiftet wurde.

Drei Generationen haben viele Jahre in der Friedlieb-Ferdinand-Rungestraße gelebt.
Sie sind alle wegen der Arbeit nach Wiesdorf gekommen…

Mein Ur- Ur-Großvater Carl Panhey kam 1902 mit seiner Familie, Frau und 10 Kinder nach Wiesdorf, um die Stelle des Aufsehers im Ledigenwohnheim II (gebaut 1896) anzutreten. Zuvor war er Wachtmeister im Ruhrgebiet. Die Anstellung im öffentlichen Dienst bedingte je nach Bedarf des Arbeitgebers örtliche Wechsel. Mit 10 Kindern wollte seine Frau nicht mehr für einen kleinen Gehaltssprung umziehen. Die Stelle im Wohnheim war vergleichsweise gut bezahlt und vor allem stationär. Das 11. Kind kam so in Wiesdorf zur Welt. Gewohnt hat die Familie zur Miete im Haus Niggemann auf der Hauptstraße. Von hier war es bis zur Moskauer Straße ein Katzensprung und die Kinder konnten die nahegelegene katholische Grundschule besuchen.

Heute verwundert, dass Bayer für die Stelle des Verwalters einen Polizisten einstellte. Aus damaliger Sicht schien die Wahl nachvollziehbar, denn das Werk rekrutierte häufig Wanderarbeiter, deren Sozialkompetenzen in der Entwicklung noch viel Spielraum nach oben hatten. Demzufolge sah die Heimordnung drakonische Ausschlusskriterien vor. „Keine Bummler, Bettnässer, Säufer oder Schläger, die Krankheiten, z. B. Krätze“ hatten.

Um 22:00 Uhr war Einlasssperre. Zu spät kommen hatte eine Eintragung in der Personalakte zur Folge. Ein ehemaliger Oberwachtmeister als Verwalter war die entsprechende Autoritätsperson, um Sanktionen durchzusetzen. Er kooperierte sehr eng mit dem ebenfalls strengen Major a.D. Mandel, der Vorsitzender der Bayer 04 Sportvereine war. Testosteronüberschüsse sollten die jungen Männer aus dem Ledigenheim geordnet und geregelt z. B. beim Fußball im Schwarz-rotem Trikot abbauen.

Zugleich gab es in der patriarchalischen Tradition zu Weihnachten eine Feier mit den beiden strengen Herren. Hier floss Bier, es gab deftiges Essen, das Blasorchester von Bayer spielte auf und praktische Geschenke, wie Hemden, Mützen und Jacken wurden verteilt.

Die Freude am etablierten Leben dauerte für die Familie nicht lange. 1908 starb Carl Panhey mit 52 Jahren. Seine Frau Elisabeth musste sich als Witwe mit 11 Kindern kleiner setzen. Sie zog in die Adolfstraße. Ein Bild von den Töchtern dieser Familie vor der Doktorsburg auf einem Sonntagsausflug ist noch erhalten.

Familie Panhey: Die protestantischen Bräute kleideten sich gerne schwarz mit weißem Schleier. Das dunkle Kleid konnte zu vielen Anlässen getragen werden.
Der Bruder der Braut zog 2014 in den ersten Weltkrieg und starb in der Weimarer Republik an den Kriegsfolgen

Meine Ur Oma Klara Panhey, 1891 in Dortmund geboren heiratete 1913 den jungen Mann Fritz (Friedrich) Höhmann, der von Solingen kam. Von Beruf war er Rasierhobelklingenschleifer ganz in der Tradition der Bergischen Messer- und Scherenstadt. Zunächst arbeitete er bei Wuppermann, später wechselte er zu der Bayer AG, die besser bezahlte und der jungen Familie in der neu errichteten Kolonie III Johanna eine Werkswohnung mit Garten bot. Bei Bayer stieg Urgroßvater Fritz zum Betriebsmeister auf. In der Freizeit widmete er sich der Gartenarbeit und der Kaninchenzucht. Als Vorsitzender des Wiesdorfer Kaninchenzüchtervereins hatte er in der neu gegründeten schicken Siedlung eine wichtige Honoratiorenfunktion.

Allerdings geriet er beim Schlachten eines Langohrs in der Gartenhütte mit seiner Tochter, meiner Großmutter Klara, in Konflikt. Sie wollte ihre behaarten Spielgefährten nicht essen, auch wenn damals noch das Sprichwort „Was auf den Tisch kommt, wird gegessen“ galt. Manchmal löste sich der Konflikt, da konnte Klara heimlich dem Familienschäferhund Dolly einen Fleischbissen unter dem Tisch zuschieben, auch wenn die Familien in der Weimarer Republik nach dem Krieg öfters Hunger hatten.

Eine hohe Anziehungskraft auf die junge katholisch getaufte Klara hatte die Jugendarbeit in der evangelischen Christuskirche. Hierfür wurde eigens eine Gemeindepädagogin und ein junger Pfarrer eingestellt, die den Jugendlichen vielfältige attraktive Angebote im evangelischen Gemeindehaus in der Dönhoffstraße unterbreiteten. Klara ließ sich konfirmieren und trat zur evangelischen Kirche über.

Kinder des Vorsitzenden des Kaninchenzüchtervereins zogen kleine Hasen im Gartenstall auf.
Die Kinderschar in der Rungestraße
Sommervergnügen im Freibad

Der Radius der Familie und von Klara blieb übersichtlich auf das attraktive Wohnviertel hinter der Bahnlinie bezogen. Ein paar Jahre später lernte sie mit 19 Jahren ihren späteren Ehemann Karl Peckhaus kennen. Er arbeitete bei der Bayer AG als Dreher und spielte sehr erfolgreich Fußball bei Bayer 04. Seine Mannschaft spielte in der Oberliga auf, so dass er jede freie Minute am neu gebauten Sportplatz hinter der Dhünn verbrachte, bis er sich in die junge Klara verliebte. Seine Familie lebte in der F.-F.-Rungestraße 5 und war als Erstbewohner 1914 dort eingezogen. Der Vater, ein Fabrikarbeiter kam aus Wuppertal und siedelte mit seiner Anstellung nach Wiesdorf über. Bei Bayer stieg er in den kaufmännischen Bereich als leitender Angestellter auf und konnte so die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Familie deutlich verbessern.

Die junge Familie Peckhaus lebte gleichfalls in der F.-F.-Rungestraße. Durch den Zusammenhalt der Familie konnte ein bescheidener wirtschaftlicher Erfolg verbucht werden. Seine Tochter Inge Link besuchte die Realschule am Neuenhof und absolvierte eine Ausbildung als Bürogehilfin. Die Tochter Susanne Tomasic hat während Corona die Familiengeschichte erforscht und zahlreiche Archivalien zusammengetragen. Dabei stellte sie fest, dass das Ledigenheim ein zweites Mal für die Familie Bedeutung hatte.

Ihr Mann Zeljko kam als einjähriges Kind aus Oberhausen nach Leverkusen. Seine Eltern kamen 1957 ursprünglich aus Kroatien. Zunächst arbeitete der Vater in einem Bergwerk in Oberhausen, dann bewarb er sich bei Bayer und 1964 kam die Familie nach und bezog übergangsweise eine Wohnung in dem in die Jahre gekommenen Ledigenheim. Fast 70 Jahre war dieses Haus erste Anlaufstelle für Neuankömmlinge in Wiesdorf. Dann wurde es mit der Kolonie 1 abgerissen. In den 70er Jahren errichtete man hier Backsteinklinkerhäuser, in dem das Bayer Personalwesen und Lehrlinge ihr Quartier hatten.

Ein Glücksfall, dass der Großvater schon früh eine Kamera (Voigtländer) hatte und in der Familie viel fotografiert wurde und einige Dokumente aufgehoben wurden. Die gute Kamera hat übrigens die Großmutter während der britischen Besatzung vor einer Hausdurchsuchung gerettet. Das gute Stück wurde im Abfalleimer versteckt.

Bilder und Dokumente wurden von Susanne Tomasic zusammengestellt. Die Geschichte entstand in mehreren Oral History Gesprächen.